Vor drei Jahren erkannte ein Team von Hsiang ch'i-Spielern, ein Ehepaar, daß das Spiel bei Taiwans Jugend an Popularität verlor. Kao Hsin-chiang (高信疆), der Präsident der Shang-chin Cultural Enterprises, Ltd., sagt dazu, sie hätten erkannt, daß Hsiang ch'i seine traditionelle Bedeutung verlor, das tägliche Leben der Menschen erhellen zu helfen. Statt dessen habe sich das Spiel "in die dunklen Ecken der Teehäuser und auf die Plätze vor den Tempeln zurückgezogen" und werde von Pensionären gespielt, "um die Zeit totzuschlagen, und von Spielern, um Geld zu gewinnen". Herr Kao und seine Gemahlin, Ko Yüan-hsing (柯元馨), beschlossen, etwas gegen die schwindende Popularität des Spieles zu unternehmen.
Laut Herrn Kao ist "der Niedergang der Schachspielkunst ein Anzeichen für ein allgemeineres Problem". Dieser Niedergang verweise auf einen schrittweisen Verlust der greifbaren und ungreifbaren Aspekte der chinesischen Tradition, und obwohl manche Leute meinen, daß dies der normale Preis dafür ist, wenn Menschen sich auf Industrialisierung und Modernisierung hinentwickeln, könne er dem nicht zustimmen: "Es muß sich auch jemand für die Vergangenheit einsetzen."
Herr Kao und seine Frau verfielen auf eine neue und kreative Idee zur Lösung dieses Problems, die im April 1987 Früchte trug: Sie förderten eine Design-Ausstellung in der Taipeier Fu-Hua Gallerie, wo neue Formen und Stile für die Spielfiguren ausgestellt wurden, die die jahrhundertenalten traditionellen Spielsteine ersetzen sollten. Das Ehepaar hatte Künstler, Designer und Kunsthandwerker dazu aufgerufen, dem Spiel durch das Entwerfen von Figuren, die dem Namen jedes Spielsteines eine wirkliche Gestalt geben würden, neue Lebenskraft zu verleihen, und diese Figuren an die Stelle der einfachen, normalerweise aus Holz, Elfenbein oder Kunststoff gefertigten Scheiben treten zu lassen. Die Ergebnisse waren verblüffend und erwiesen sich als außerordentlich populär: Nicht nur fanden sie weite Beachtung durch die Medien, die Ausstellung, die über die ganze Insel reiste, zog auch große Besuchermengen an.
"Unser Ziel war, Hsiang ch'i neue Lebenskraft zu geben, und dadurch die Begeisterung für das Spiel zu vergrößern", sagt Herr Kao. "In der Vergangenheit mögen die Spielsteine vielleicht wegen der Armut der frühen Gesellschaft so einfach geschnitzt gewesen sein." Jedenfalls waren die frühen Spielsteine, aus welchem Grund auch immer, in einer sehr simplen Form gearbeitet, die über Jahrhunderte hinweg - ohne Veränderungen akzeptiert - zur Gewohnheit wurde. Das Resultat war ein Spiel, das auf diejenigen beschränkt blieb, die Chinesisch lesen konnten.
Der ursprüngliche Aufruf zur Konstruktion neuer Figuren für das Spiel erhielt begeisterten Zuspruch von einigen der bekanntesten Künstler und Architekten Taiwans, wie auch von neuen Gesichtern, Kunsthandwerkern vom Lande, deren lebendige Wiedergabe des Volksgutes, das so oft mit Theorie und Praxis der Kriegsführung auf dem Schachbrett verwandt ist, Besucher der Ausstellungen entzückte. Obwohl das primäre Ziel der Design-Ausstellung war, größeres lokales Interesse an dem Spiel zu wecken, erkannten Herr Kao und Frau Ko, daß ihre Idee internationale Auswirkungen haben könnte. "Durch ein weitgefächertes Angebot an Entwürfen, die der traditionellen Bedeutung des Spieles moderne Interpretationen geben, wollten wir das Interesse an Hsiang ch'i erhöhen", sagt Herr Kao dazu. "Darüber hinaus dachten wir, daß das Spiel durch die Kombination der Schachspielkunst mit künstlerischen Stücken, die sogar als Wohnzimmerdekoration hingestellt werden können, kulturelle Barrieren aufbrechen und international populär werden würde." Doch die offensichtliche Ästhetik der Ausstellungsstücke ist lediglich einer der Gründe für den weiten Anklang, den sie finden; die Ersetzung der chinesischen Schriftzeichen durch wirkliche Formen, wie im westlichen Schach, macht es erfreulich einfach für Ausländer, das Spiel zu erlernen.
Hsiang ch'i, was als "Elefanten-Schach" oder "Symbol-Schach" übersetzt werden kann, hat frühe Wurzeln in der T'ang-Dynastie (618-907 n. Chr.), und einigen Gelehrten zufolge teilt es beträchtliche Ähnlichkeiten mit dem frühen indischen Spiel Chaturanga, das ebenfalls ein strategisches Brettspiel ist. Der Name des indischen Spieles bezieht sich wortwörtlich auf die Einteilung der Armeen in Einheiten aus Elefanten, Pferden, Wagen und Fußsoldaten.
Aber was auch immer der tatsächliche Ursprung und die früheste Entwicklung des Hsiang ch'i gewesen sein mögen - zur Zeit der Sung-Dynastie (960-1279) erhielt das Spiel entschieden chinesische Züge. Durch die theoretische Untermauerung aus literarischen, historischen und poetischen Verweisen wurde das Spiel in die Yin und Yang Philosophie, chinesische Ethik und die klassische Kriegsführungs- "Etikette" eingebettet. Diese Hinzufügung der chinesischen Weltanschauung macht auch die Übersetzung "Symbol-Schach" für die zeitgenössischen Schüler und Spieler des Hsiang ch'i leichter annehmbar.
Wie im westlichen Schach, ist das Spielbrett in 64 Quadrate unterteilt, auf denen sich zwei aus je 16 Figuren oder Einheiten bestehende Armeen gegenüberstehen. Aber beim Hsiang ch'i gibt es in jeder Armee sieben verschiedene Figuren: einen General (chiang), zwei Wächter (shih), zwei Heimmiliz-Einheiten (hsiang), zwei Wagengruppen (chü), zwei Kavallerie-Einheiten (ma), zwei Batterien Feldartillerie (p'ao), sowie fünf Einheiten regulärer Infanterie (tzu). Die Armee-Einheiten werden anhand ihrer chinesischen Namen identifiziert, wobei die eine Armee die richtigen Zeichen benutzt, während die gegenüberstehende Armee ähnlich aussehende, homonyme Zeichen gebraucht.
Der General entspricht ungefähr dem König im westlichen Schach, die Fußsoldaten den Bauern. Die Funktionen der westlichen Läufer, Springer und Türme sind auf die anderen fünf Figuren im Hsiang ch'i verteilt, während die allmächtige westliche Königin verdächtigerweise fehlt, vielleicht wegen der untergeordneten Rolle, die die Frauen in Chinas frühen Kaisertagen spielten.
Aufgrund dieser Unterschiede ist die Macht der chinesischen Schlachtenordnung im Vergleich mit seinem westlichen Gegenstück stärker eingeschränkt. Wie das westliche Schachbrett besteht auch das Hsiang ch'i-Brett aus acht mal acht Feldern, aber anders als im westlichen Schach, wird das Spielfeld beim Hsiang ch'i durch einen Fluß, den Ch'u, in der Mitte geteilt. Der Fluß trennt die Streitenden Reiche der Ch'u und der Han und stellt somit eine tatsächliche historische Situation nach, die der Errichtung der Han-Dynastie im Jahre 206 v. Chr. vorausging.
Und während westliche Meister auf ihren Spielbrettern um strategische Positionen kämpfen, ist es chinesischen Spielern wichtiger, Feindesland zu erobern und den Gegner daran zu hindern, in ihren genau umrissenen Heimatgrund einzufallen. Von daher befinden sich die chinesischen Gegner mehr in der Defensive, was ein spezifisches Element der größeren Komplexität im chinesischen Schach ausmacht.
Zu Beginn des Spieles werden die Hsiang ch'i-Figuren in je drei Reihen an den beiden Enden des Spielbretts aufgestellt. Auf der äußeren Linie werden die neun Hauptfiguren plaziert. Die fünf Einheiten reguläre Infanterie finden nahe dem Fluß an der Front ihre Posten, und dazwischen beziehen zur Unterstützung die beiden Feldartillerie-Einheiten Stellung.
Die Bewegungsfreiheit der meisten Hsiang ch'i-Figuren ist stärker eingeschränkt als die ihrer westlichen Gegenstücke. Während im westlichen Schach die Hälfte der Figuren so weit ziehen können, wie sie wollen, solange keine Figur den Weg versperrt, ist dies im Hsiang ch'i mit Ausnahme der Wagen keiner Figur möglich.
Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit wird zum Teil jedoch durch die größere Spielfläche ausgeglichen, da die Hsiang ch'i-Figuren statt auf den Spielfeldern auf den Schnittpunkten der Linien plaziert werden, wodurch sie mehr Möglichkeiten zum Manövrieren haben. Der westliche Springer, zum Beispiel, kann bei einer Reise über das ganze Brett nur 64 Züge machen, die chinesische Kavallerie hingegen 90, da sie auf den Schnittpunkten der Linien steht und nicht auf dem Raum dazwischen.
Der chinesische General und seine zwei Wächter sind in einer kleinen Burg einquartiert, die durch diagonale Linien am äußeren Rand des Spielbrettes gekennzeichnet ist. Der General muß sich auf horizontale und vertikale Züge innerhalb der Burg beschränken, während die Wächter auf derselben Fläche nur diagonal gezogen werden können. Diese bescheidene Mobilität erlaubt es dem General und seinen Wächtern lediglich, sehr bescheidene Rollen bei der Verteidigung zu spielen, was die Verteidigung des Heimatgrundes zu einer lebenswichtigen Aufgabe macht.
Die Heimmiliz-Einheiten flankieren auf beiden Seiten die Wächter und bewegen sich diagonal auf dem vom Flusse Ch'u markierten "Nationalgebiet" vor und zurück. Die Aufgabe, ihren General zu verteidigen, ist so wichtig, daß es ihnen nicht gestattet ist, auf feindliches Gebiet vorzudringen.
Die wesentlichen Kampfrollen werden anderen Figuren überlassen: Die Züge einer Kavallerie-Einheit sind ähnlich wie bei einem westlichen Springer, ein Zug geradeaus, gefolgt von einem diagonalen. Die Wagen übernehmen die Rolle der Türme im westlichen Spiel, wobei sie sowohl dieselben Positionen einnehmen, als auch dieselben Züge durchführen. Auf dem chinesischen Spielbrett sind sie die mächtigsten Figuren.
Die Feldartillerie-Einheiten haben genauso viel Macht, wie die westlichen Läufer, aber sie operieren, indem sie über eine einfallende feindliche Figur hinüberspringen, sie auf diese Weise schlagen und somit das zentrale Schlachtentheater bestimmen.
Die Infanterie-Einheiten "müssen's schaffen oder sterben", Schritt für Schritt voranschreitend und nie zurückblickend. Ihre Aufgabe ist es zu dienen, ohne eine Belohnung dafür zu erwarten. Und selbst, wenn es ihnen gelingt, die feindlichen Linien zu durchbrechen und in die entferntesten Winkel des Feindes vorzudringen, können sie, anders als im westlichen Schach, wo die Bauern sich in solch einem Falle in stärkere Figuren verwandeln, nie zu Helden werden.
Ohne Könige für eine letzte Konfrontationsrunde, ohne verwandelbare Bauern und mit einem auf immer und ewig zu verteidigenden Heimatgrund, ist die Kriegsführung im Hsiang ch'i ausgedehnter als im westlichen Schach, und verlangt sowohl erweiterte Strategien, als auch eine ständige Balance der Kräfte.
Das letztendliche Ziel bei der Spielformen ist das Schachmatt. Und der General, obwohl immer auf sein Hauptquartier beschränkt, befindet sich im Schach, wenn sich auf einer geraden Linie keine anderen Figuren zwischen ihm und einem angreifenden General befinden. Aber er kann nicht gefangen werden, und wie der westliche König kann er sich nicht ins Schach begeben.
Hsiang ch'i wurde zusammen mit der Kalligraphie, der Malerei und dem Zither-Spiel als eine der großen Künste Chinas angesehen. Über die Jahrhunderte hinweg spielte eine reiche Vielfalt an Anekdoten, Dichtungen und Legenden auf die symbolische Kraft der Spielsteine und Strategien an, aus denen sich das Spiel zusammensetzt. Die Themen beinhalten die Auseinandersetzungen zwischen Generälen an der Spitze mächtiger Armeen, Duelle galanter Ritter auf Leben und Tod und rührende Romanzen zwischen Soldaten-Gelehrten und berühmten Schönheiten. Und so wurde das Schachspielen traditionellerweise nicht nur als Zeitvertreib betrachtet, sondern auch als Wettkampf geistiger Konzentration und Weisheit.
Dies veranlaßte Generationen chinesischer Literaten dazu, dem Spiel philosophische Bedeutung beizugeben, niedergelegt in solch klassischen Verweisen wie: "Stärke liegt in der Hingabe", "Im Nichts ist Wirklichkeit" und "Fortschritt mag durch eine Strategie des Rückzugs erreicht werden". Beim ersten Lesen mögen diese Sätze unklar erscheinen, doch erschließt sich ihre Bedeutung, wenn man an die klassischen Erklärungen zur Kraft und Bewegung des Tao (道) denkt, an die positive Kraft von Weiß in der chinesischen Monochrom-Malerei, oder an die einsichtige Einschätzung militärischer Rückwärtsbewegung in Sun Tzus (孫子) berühmtem Buch über die Kriegsführung, das in der chinesischen Geschichtsperiode der Streitenden Reiche im fünften Jahrhundert v. Chr. geschrieben wurde.
Wegen dieser kulturellen Obertöne ist es nicht erstaunlich, daß der kühne, neue Schritt im Design des Spieles solch überwältigenden Zuspruch erhielt. Besucher der verschiedenen Ausstellungen der neuentworfenen Stücke waren erfreut über die Veränderungen im Aussehen des Spieles. In der Tat gründen sich die verschiedenen Entwürfe sowohl auf traditionelle Motive, die mit Hsiang ch'i assoziiert werden, einschließlich anderer berühmter Schlachten und Ereignisse, die in der Geschichtsschreibung und in Romanen erwähnt werden, als auch auf deren moderne Varianten, die eher mit Trends in der zeitgenössischen Kunst und Architektur in Verbindung stehen. Die dreißig Schachfigurensets können grob in drei Kategorien unterteilt werden: moderne, volkstümliche und traditionelle.
Der Architekt Han Pao-teh (漢寶德) formte eines der abstrakteren, modernistischen Schachsets. Die Stücke der "Kristall-Serie" bestehen aus Acrylzylindern, die die Reihen in den Himmel ragender Hochhäuser simulieren, und die durch die traditionellen Schriftzeichen auf ihren "Dächern" identifiziert werden. Die elegante Einfachheit der Stücke und das delikate Spiel des Lichts auf ihren durchsichtigen, runden Oberflächen zeigen Herrn Hans eigenes Interesse daran, den Gebrauch moderner Materialien zur Unterstützung traditioneller Motive zu fördern.
Der Designer Cheng Wen (鄭問) übertrug in seinen "Space War"-Figuren die Kriegssituation auf das Spielbrett. Opake Acrylzylinder für die zugrundeliegende Form benutzend, schnitt er in die Zylinder menschliche Figuren, die die verschiedenen Einheiten des Spieles repräsentieren. Die Gesichter zeigen ein definitiv futuristisches Aussehen, wodurch sie an Weltraumkrieger erinnern, die in ihren Zeitkapseln eingefroren sind und gelassen darauf warten, für die Kampfhandlung aufgetaut zu werden.
Der international bekannte Bildhauer Chu Ming (朱銘) nahm Abschied vom Medium Holz, für das er am besten bekannt ist, um aus Ton Figuren für das Spiel zu formen. In "Diese Welt" gelingt es seinen unregelmäßigen, unglasierten und entschieden abstrakten Formen dennoch, den Geist des Spieles im Kampf um die Überlegenheit der Spielbrettstrategien einzufangen.
Yang Po-lin (楊柏林), der sich seit seinem zwölften Lebensjahr ausgiebig mit der künstlerischen Produktion beschäftigt hat, fügt den Ausstellungsstücken ein wenig Humor hinzu. Seine Figuren tragen den Titel "Sie beugen sich, um zu erobern" und verlegen das Motiv der Kriegsführung von Armeen auf Mann und Frau. Die weibliche Seite des "Kampfes" wird von verführerisch sanften, kurvenreichen Frauen geführt, die ihre "hingebende Erscheinung" zu strategischen Vorteilen nutzen. Den Frauen gegenüber stehen maskuline Schachfiguren, die sich auf die traditionellen Formen von Energie und Stärke stützen, was durch schwellende Muskeln und aggressive Haltung verraten wird. Tatsächlich: Stärke liegt in der Hingabe".
Einige der eindrucksvollsten der gezeigten Werke stammen jedoch von bislang nur wenig bekannten Künstlern, die ihren Hintergrund zum großen Teil in der Volkskunst haben. Diese eher volkstümliche Interpretation des Spieles verleiht den Stücken eine erdverbundene, realistische Kraft.
Eines der größten Schachsets aus etwa 25 Zentimeter hohen, holzgeschnitzten Figuren veranlaßte die Besucher dazu, über der detaillierten Wiedergabe jeder Armee-Einheit zu verweilen. Wu Jung-szu (吳榮賜) stellte die typische Persönlichkeit und Bewaffnung der Ch'in-Soldaten (1115-1234) dar, die regelmäßig die Herrscher der Sung-Dynastie angegriffen hatten. Seine unbemalten Figuren strenger Generäle, nachdenklicher Soldaten-Gelehrter und sorgfältig rekonstruierter Designs von Wagen und Artillerie verraten ein beachtliches Talent. Dieses Können ist darüber hinaus umso beeindruckender, als es diszipliniert ist. Herr Wu weiß, wann er mit dem Schnitzen aufhören muß. Seine Figuren zeigen gerade genügend Details in Gesicht, Haltung und Kleidung, um ihre Persönlichkeiten und Rollen zu enthüllen. Damit zufrieden, dem Betrachter zu erlauben, anhand der suggestiven Linien und Kurven, die seine Messer und das Schmirgelpapier hinterlassen haben, einen genaueren Eindruck von den Figuren zu gewinnen, macht er vor photographischem Realismus halt.
Eine andere, humorvolle Bearbeitung eines traditionellen Themas ist das Schachspiel von Chen Chiu-chi (陳秋吉). Auf eine Zeile des Dichters Ya Hsien (瘂弦), "Der Sturm in den Weinschalen", fußend, ist jede Spielfigur tatsächlich ein zierlich geformtes Weinschälchen. Während die Spieler durch den typisch klaren, chinesischen Wein blicken, um die handgemalten Schriftzeichen im Innern der Schälchen zu lesen, können sie die Strafe für das Verlieren jedes Spielsteines kontemplieren: den Inhalt der Schälchen zu leeren, wenn man sie vom Spielfeld nimmt. Dies vergrößert das Spielvergnügen - und den Vorteil des Spielers, der die ersten Figuren schlägt. Das Spiel wird zu einem Test für beides, die Geschicklichkeit im Schachspielen wie auch für die Weinkapazität der Spieler. Ein ehrlicher Verlierer, der Kan pei zu vollbringen (d.h. die Schale zu leeren) hat, hat möglicherweise sechzehn Schälchen Wein zu trinken, was einen erwarten läßt, daß der Gewinner des zweiten Spieles von vornherein feststeht.
Ein anderes besonders ansprechendes Schachspiel wurde von dem Maler Ou Hao-nien (歐豪年) entworfen und von dem Kunsthandwerker Chen Ching-liang (陳慶良) ausgeführt. Ihre gemeinschaftliche Bearbeitung der "Reise nach dem Westen" (西遊記, Hsi-yu chi), einem berühmten chinesischen Romanklassiker und wiederholten Thema anderer literarischer Gattungen, verkörpert auf dramatische Weise diese Geschichte auf dem Schachbrett. Die lebendigen Figuren aus der Mythologie, wie der Affenkönig, der Gelehrte Tang und der treue Schweinekamerad, haben ihren Platz auf dem Spielbrett als General, Wächter und Miliz-Einheiten. Auf der anderen Seite des Brettes stehen ihnen falsche Doppelgänger gegenüber, genau wie in der Geschichte, in der sie mit bösen Wesen, die ihre Gestalt annehmen, um den Kampf zu verwirren, in Duelle auf Leben und Tod verwickelt sind.
Traditionelle literarische und klassische Themen waren unter den Ausstellenden als Vorlagen für die Schachspiele besonders beliebt. Ko Yuan-hsing, die Mitorganisatorin der Ausstellung, stellte anhand archäologischen Materials Nachforschungen zu den alten chinesischen Lebensweisen, Kostümen, Waffen und Fahrzeugen an. Dann entwarf sie drei Schachspiele, "Ping Ma Yung" (兵馬俑) in Wiedergabe von Formen der Ch'in-Dynastie (221-207 v. Chr.), "Sui" nach der kurzlebigen Sui-Dynastie (581-618) und "T'ang Tri-Kolor", in Anwendung der besonderen Vielfarben-Glasurmethode, die während der T'ang-Dynastie (618-907) entwickelt wurde. Frau Kos Aufmerksamkeit für Details ermöglichte es ihr, die strenge und beharrliche Natur der alten Chinesen genauso einzufangen, wie die lebendigen Einzelheiten ihrer Kostüme und Ausstaffierungen.
Als ein weiteres Echo historischer Ereignisse konstruierte der Fiberglas-Handwerker Hsieh Yi-yu (謝以裕) ein Schachspiel, das reich an eingefrorener Bewegung ist: "Die Schlacht zwischen dem Drachen und dem Tiger", die auf der Geschichte Tsao Tsaos und Kung Mings beruht, die sich während der Periode der Drei Königreiche (220-265) ereignete.
Auf seinen Erfahrungen in der Herstellung von Statuen für Tempel auf dem Lande aufbauend, schuf ein anderer Kunsthandwerker, Tseng Chin-tsai (曾進財), große, grobbehauene Figuren, zu deren Monumentalität auch ihre mehr als fußgroße Höhe beiträgt. Seine Darstellung der Gesichtszüge ist besonders kraftvoll, und im Profil gesehen erzeugen die Figuren im Betrachter ein Gefühl von Angst und Respekt. Echte Schlachtfeld-Stücke.
Die Künstler vergaßen jedoch auch die Kinder nicht, und die Organisatoren konnten mit der großen Anzahl junger Bewunderer, die jeden Ausstellungstag bevölkerten, zufrieden sein. "Sun-Tzus Schwadron" des Cartoonisten Tsai Chih-chung (蔡志忠), das auf den berühmten Strategen des alten China anspielt, verleiht der Schlachtenszene durch die Gesichtsausdrücke der Figuren einen gewissen naiven Blickwinkel. Dies gefiel den Kindern und gab einigen Erwachsenen eine Pause, um über die eigentliche Widersinnigkeit des Kriegführens nachzudenken. Chan Su-chiaos (詹素嬌) "Chio Chios Tierschach" hingegen ist wesentlich direkter in seiner cartoonistischen Herangehensweise. Seine Figuren sind in der Tat dreidimensionale Cartoons der von Kindern favorisierten Tiere und Lieblinge. Doch waren beide Cartoonisten erfolgreich dabei, jugendliche Interessen anzusprechen und die Kinder in das Wesen des Spieles einzuführen.
Herrn Kao und seiner Gattin zufolge war eine der großen Leistungen der Ausstellung die Entdeckung einiger Kunsthandwerker, die bislang nicht über ihre Dorfumgebung hinaus bekannt waren. Die meisten von ihnen wurden auf dem Lande geboren, sind Autodidakten und haben ihre Vorstellungskraft an den Legenden und dem Volksgut geschärft, das sie von ihrer Familie, von Freunden und von den Alten des Dorfes vermittelt bekamen. Obwohl sie nicht im formalen Sinne gebildet sind, haben sie sich doch lange darin geübt und darum bemüht, ihre Sichtweisen der chinesischen Tradition darzustellen. Die Armut ihrer Umstände hat dabei ihre Kreativität nicht einschränken können.
Wu Jung-szu, zum Beispiel, wuchs als Bauernjunge auf und arbeitete als Schmied. Inspiriert von einem Traum, in dem er sich anstelle eines Hammers ein Schnitzmesser halten und die Statue eines Kuan-yin Buddhas schnitzen sah, wechselte er zum Studium der Kunst. Um seinen Traum zu verwirklichen, schlief er sogar in alten, regendurchlässigen Tempeln und arbeitete Tag und Nacht bei buddhistischen Andenkenläden, um die Feinheiten der buddhistischen Kunst zu erlernen. Um seinen künstlerischen Werken Leben zu geben, lernte er von einem versierten Schneider, wie er die Proportionen des menschlichen Körpers einzufangen hatte, und ein berühmter Architekt vermittelte ihm die Konzepte der modernen Kunst.
Zusätzlich zu seinem monumentalen Design-Schachspiel "Menschliche Götter" arbeitete Tseng Chin-tsai an einem großen Projekt neun gigantischer Skulpturen. Sie sind betitelt: "Religiöser Dienst", "Frühlingsanbau", "Hochzeitszeremonie", "Alter Wohnsitz", "Stickarbeit", "Beerdigung", "Himmel", "Hölle" und "Traditioneller Wohnsitz". Auf seine Skulptur "Religiöser Dienst" hatte er bereits vier Jahre Arbeit verwandt. Und Herrn Tsengs Einschätzung seiner Arbeit spiegelt dabei Herrn Kaos Gedanken über die Schachfiguren-Ausstellung wider: "Meine Aufgabe in diesem Projekt war es, junge Leute mit dem Reichtum unserer Kultur und Tradition vertraut zu machen".
Traditionelle Motive einzufangen und für ein modernes Publikum zu übersetzen, ist eine große Herausforderung in Taiwans sich rapide modernisierendem Lebensraum. Aber die prinzipiellen künstlerischen Herausforderungen sind heutzutage keine anderen, als die, denen Künstler schon vor Generationen gegenüberstanden: Was ist das geeigneteste Material für meine Arbeit?
Hsieh Yi-yu, der Erschaffer der "Schlacht zwischen dem Drachen und dem Tiger", begann seine Suche nach dem am besten geeigneten Medium mit zahllosen Experimenten an verschiedenen Materialien. Schließlich fand er, daß Keramik ihm die "richtige Sprache" gab, um das auszudrücken, was er sich vorstellte. "Ohne den Prozeß des Gießens kann Keramik die Essenz und den Geist der Objekte direkter und wahrhaftiger einfangen," sagt er mit dem ruhigen Selbstvertrauen des Künstlers, der mit seiner Arbeit zufrieden ist. Und solche Kommentare und Einstellungen von Künstlern zu hören, die vor Kurzem noch nur unzureichend öffentlich ausgestellt wurden, erfüllt Herrn Kao und Frau Ko mit Stolz auf ihre gemeinsamen Anstrengungen. "Die Entdeckung dieser Kunsthandwerker ist einfach aufregend," sagt Herr Kao, und ein Ausstellungsbesucher fügt hinzu: "Sie gehören zum Reichtum unserer Kultur, und deshalb verdienen sie Respekt und gute Bezahlung für ihre Arbeit."
Auch vermutet Herr Kao weitere Auswirkungen der Ausstellung: "In der Wirtschaft und Industrie tätige Leute beklagen häufig, daß es schwierig sei, gute Designer und Kunsthandwerker zu finden, die ihren Produkten Vorschub leisten könnten. Am Ende müssen sie dann hohe Preise zahlen, um Designer aus Japan oder den Vereinigten Staaten zu bekommen. Dabei haben wir viele gute Designer und Kunsthandwerker in unserem eigenen Land. Sie sind den Leuten in der Wirtschaft nur einfach nicht bekannt. Und schlimmer noch: Einige von ihnen haben keine Ahnung, daß sie durch schriftliche Verträge ihre Rechte schützen können. Sie arbeiten als billige Arbeitskräfte ausländischer Markenfirmen, für die sie nach vorgegebenen Mustern Handwerksartikel anfertigen. Ereignisse wie diese Ausstellung können helfen, sie in einen anderen Markt einzuführen und ihnen vielleicht bessere Arbeitsstellen zu vermitteln."
Über die ursprüngliche Idee hinaus, das alte Spiel bei der heutigen Jugend wieder populär zu machen, trug die Hsiang ch'i-Ausstellung dazu bei, kreative Kunst zu ermutigen, traditionelle Motive in volkstümliche und moderne Kunstformen zu integrieren und neue Möglichkeiten zur Verwendung "lokal gewachsener" Designer vorzuschlagen. Hinzu kommt, daß nun die Freuden dieses Spieles und der damit verbundenen kulturellen Traditionen allen Spielbrettstrategen der ganzen Welt leichter zugänglich sind.
(Deutsch von Arne Weidemann)